Solidarischer Individualismus

Wer Leistung erbringt, erhält in der Gesellschaft eine angemessene berufliche Position, gutes Gehalt und Anerkennung. Das gesamte Leben wird seit vierzig Jahren von dieser neoliberalen Maxime beherrscht und gestaltet. Wieso sind dann aber immer größere Risse in unserer Gesellschaft zu finden? Lange schon gibt es Zweifel an dieser hegemonialen Erzählung – gerade mit Blick auf die großen Herausforderungen der nächsten und weiteren Zukunft: Überwindung der Pandemie, soziale Gerechtigkeit, Klimawandel.

 

 

Ich bin beunruhigt von dieser Entwicklung. An welchen Stellen hat der Neoliberalismus und die damit verbundene Leistungsgesellschaft Nachteile für Gesellschaft und Menschen gebracht? Dabei stehen immer zwei Faktoren im Mittelpunkt: Individualismus und Gemeinsinn. Mit der Veranstaltung „Unterm Strich zähl‘ ich“ zum „Neuen Wir“ suche ich Rat im Gespräch: Wie finden nach der neoliberalen Leistungsgesellschaft Solidarität und Individualismus in einem demokratischen »Wir« zueinander?

 

Vergangene Veranstaltungen

2.10.2022 – Man wird ja wohl noch sagen dürfen!!

Der Abend war zweigeteilt: Zunächst führte Jochen Ott auf dem Podium Gespräche mit spannenden Gästen zum Thema „Man wird ja wohl noch sagen dürfen!!“. Im Anschluss konnte das Theaterstück „Der Unbeugsame. Der Widerstand des Karl Küpper“ besucht werden. Vielen Dank an die Volksbühne am Rudolfplatz, die uns hier für 20€ pro Person vergünstigte Karten zur Verfügung gestellt hat.

Welche Debatten braucht unsere Gesellschaft?
Rechtsradikale versuchen wieder vermehrt, mit dem Scheinverweis auf Meinungsfreiheit Unsagbares sagbar zu machen und verbreiten gleichzeitig das Gerücht, man dürfe nichts mehr sagen. Gerade die Sozialdemokratie hat diesen Tendenzen immer Paroli geboten und auch jetzt dürfen wir den Rechten die wichtigen Debatten nicht überlassen. Deshalb wird dieses Jahr in den Fokus gestellt, welche Themen, welche Ausdrucksformen in der modernen Gesellschaft eigentlich angebracht sind.

Was bedeutet freie Rede? Geht es um „sagen dürfen“, oder um „sagen sollen“, „sagen wollen“? Gibt es Standpunkte, auf die sich die demokratische Gesellschaft geeinigt hat und die eben wirklich nicht mehr diskutiert werden sollten? Welche Debatten sind in einem demokratischen Diskurs hingegen unbedingt notwendig? In Gesprächen wurden in Teil 1, dem Panel, mit verschiedenen Gästen jeweils ein bestimmten Aspekt, der im Kontext wichtig ist, besprochen: Wir danken für das Gespräch mit Lale Akgün über Sexismus, Markus Reinhardt über rassistische Sprache und Richard Gebhardt über Kommunikationsstrategien der AfD.

Theaterstück „Der Unbeugsame. Der Widerstand des Karl Küpper“
Die Veranstaltung fand traditionell in der „Volksbühne am Rudolfplatz“ in Köln statt; aus organisatorischen Gründen nicht wie gewohnt am Tag der deutschen Einheit, sondern bereits am 2.10. Für dieses Jahr haben wir mit dem Veranstaltungsort ein besonderes Konzept überlegt: Wir haben die Gespräche mit einem anschließenden Theaterstück verbunden: „Der Unbeugsame. Der Widerstand des Karl Küpper“. Das Theaterstück schlägt in Köln sehr hohe Wellen und ist ein herausragendes Beispiel für das Verbot der Redefreiheit im Nationalsozialismus: Der Büttenredner Karl Küpper hatte in der Nazizeit offen seine kritische Haltung deutlich gemacht und wurde dafür nicht nur während der Zeit selbst von den Nationalsozialist:innen sondern auch nach dem Krieg vom Festkomitee des Kölner Karnevals in Bedrängnis gebracht und von Veranstaltungen des Karnevals ausgeschlossen. Selbst heute reagieren einzelne Vertreter:innen des organisierten Karnevals überraschend dünnhäutig auf das Theaterstück. Somit hat das Theaterstück wunderbar in den Kontext unserer Veranstaltung gepasst. Danke an die Volksbühne, die uns vergünstigte Karten zur Verfügung gestellt hat.

3.10.2021 – mit Michael Sandel: Leistungsgesellschaft und Gemeinsinn

Eine Veranstaltung von Jochen Ott (Landtagsabgeordneter), Dr. Benjamin Becker (AmerikaHaus NRW e.V.) und Prof. Dr. Wilfried Hinsch (Wissenschaftsforum zu Köln und Essen) mit einem Vortrag von Prof. Dr. Michael Sandel, Philosoph und Professor an der Harvard University (digital zugeschaltet) mit anschließender Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Wilfried Hinsch (Wissenschaftsforum zu Köln und Essen), Martin Schulz (Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung) und Dr. Juliane Kronen (Sozialunternehmerin und Vorstandsmitglied des AmerikaHaus NRW e.V.) und Beiträgen aus dem Publikum.

Resümee
Moderation: Martina Buttler
Der US-amerikanische Philosoph und Professor Michael Sandel analysiert in seinem Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“ eindrucksvoll, wie sich die USA und Westeuropa zu Leistungsgesellschaften entwickelt haben. Diese Meritokratie baue auf dem Mythos auf, dass jeder Mensch mit harter Arbeit alles erreichen könne; Positionen und gesellschaftliche Anerkennung werden daher nach (vermeintlicher) Leistung vergeben. Die wichtigsten Thesen wird er uns in der Veranstaltung vorstellen. Außerdem diskutiert Sandel mit den Podiumsgästen und dem Publikum, welche Folgen die meritokratische Ausrichtung für unsere Gesellschaft hat und wie dies mit massiven gesellschaftlichen Spannungen und Spaltungen zusammenhängt. Wie können wir uns wieder zu mehr „Wir“ entwickeln?

Hier die Aufzeichnung anschauen.