Wie macht man Wahlkampf, wenn gleichzeitig Krieg herrscht? Und zwar nicht irgendwo auf der Welt, sondern zwei Flugstunden von Berlin entfernt?
Diese Frage wird mir derzeit des Öfteren gestellt. Und ich selbst stelle sie mir auch. Denn natürlich geht es mir so, wie den meisten Menschen: Ich bin schockiert und entsetzt darüber, dass Putin die Ukraine überfallen hat und jetzt mit einem brutalen Krieg überzieht. Die Bilder, die uns aus Mariupol und anderen ukrainischen Städten erreichen, machen sprachlos und erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht. Sie zeigen: Was hier passiert, ist pure Aggression.
Ein entfesselter Vernichtungswille richtet sich gegen die stattliche Existenz eines Volkes und mit der Bombardierung von Krankenhäusern oder Schulen gegen das physische Leben seiner Zivilbevölkerung. Dieser Krieg ist in jeder Hinsicht ein eklatanter Bruch des Völkerrechts – von den Tätern propagandistisch obendrein umgelogen zu einem „Befreiungskrieg“, der das Land vor Neonazis schützen soll. Das ist perfide.
Und nichts und niemand kann dieses Vorgehen rechtfertigen. Sicher: Der Westen und besonders die NATO muss sich fragen lassen, welche politischen Fehler in der Vergangenheit begangen wurden. Stichwort: Osterweiterung. Aber auch dabei sollten wir nicht in die Falle der Einseitigkeit tappen. Wer nach den Sicherheitsinteressen Moskaus fragt, der muss immer auch nach den Sicherheitsinteressen der anderen fragen: denen der baltischen Staaten und denen Polens etwa und eben nach denen der Ukraine. Und der muss sich auch fragen lassen: Seit wann rechtfertigen die eigenen Sicherheitsinteressen den Überfall auf ein souveränes Land mit frei gewählter Regierung?
Worum es in diesem Krieg wirklich geht, kann man nachlesen: in den Aufsätzen und Reden Putins aus den zurückliegenden Jahren und in den Analysen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit dem politischen Programm Putins befassen.[1] Der ehemalige KGB-Offizier hängt der Idee eines großrussischen Reiches an, für das er sich einen der vordersten Plätze auf der Weltbühne erhofft. Sein ideologischer Hauptfeind dabei ist nicht dieses oder jenes Land, sondern die liberale Demokratie westlicher Prägung. Ihr fühlt sich der Herrscher im Kreml überlegen und sie will er zurückdrängen. Es ist ein Krieg der Diktatur gegen Freiheit und Demokratie.
Doch gerade weil das so ist, gehört es zum jetzt nötigen Widerstand, die Institutionen der Demokratie zu stärken. Und zu diesen Institutionen zählt auch der faire Wahlkampf; der öffentliche Streit der Meinungen, in dem sich die Bürgerinnen und Bürger ihr eigenständiges politisches Urteil bilden. Auch wenn es schwer fällt: Vor der NRW-Wahl im Mai will ich weiter informieren und für meine politischen Positionen werben; für faire Chancengerechtigkeit in der Bildung; für bezahlbares Wohnen und für die so dringende Unterstützung von Familien in unserem Land. Auch der Krieg in der Ukraine schafft all diese Themen nicht aus der Welt.
Gleichzeitig müssen wir auch über den Krieg und unsere Reaktion öffentlich diskutieren. Denn auch hier werden politische Positionen deutlich, die Wählerinnen und Wähler klar erkennen sollten. Sie müssen wissen: eine Politik der reinen moralischen Entrüstung, die bereit ist, auch eine militärische Eskalation hinzunehmen, entspricht nicht der sozialdemokratischen Linie, wie sie in Berlin besonders von Olaf Scholz mit großer Besonnenheit vertreten wird.
Auch die Auffassung „für die Freiheit können wir ruhig mal frieren“ spiegelt aus Sicht der SPD vor allem die bequeme Gesinnungsethik derjenigen, die dank staatlicher Entlohnung weit oberhalb des Existenzminimums leben und sich keinerlei materielle Sorgen machen müssen. Und wir finden: Wer heute im Brustton der Überzeugung mehr Unabhängigkeit von russischem Gas fordert, in der Vergangenheit aber alles dafür getan hat, einen sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft zu verhindern, der macht sich lächerlich und unglaubwürdig.
Stattdessen geht es darum, die Dinge zu Ende zu denken und sich auf das zu besinnen, was sich als historisch richtig erwiesen hat: „Wandel durch Annäherung“ – das war die Entspannungsformel von Willy Brandt und Egon Bahr, als es in den 1970er Jahren darum ging, den Kalten Krieg nicht zu einem heißen werden zu lassen. Und „Verhandlung aus einer Position der Stärke“ – das war die Strategie des sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt, die in letzter Konsequenz das Ende der bipolaren Weltordnung herbeigeführt hat. An dieses doppelte Erbe müssen wir uns jetzt erinnern. Und beides miteinander verbinden: Das Vertrauen in die Macht der Diplomatie mit der Erkenntnis, dass auch militärische Stärke dazu gehört, wenn wir am Ende Erfolg haben wollen.
Ich bin deshalb froh, dass Olaf Scholz und Rolf Mützenich gemeinsam politische Verantwortung tragen. Rolf steht seit vielen Jahren für Abrüstungspolitik und für eine besonnene Außenpolitik. Olaf Scholz hat in den letzten Wochen bewiesen, dass er in schwieriger Zeit an der richtigen Stelle führt. Ich vertraue der Außenministerin Anna Lena Baerbock und auch Vize-Kanzler Robert Habeck sowie der Verteidigungsministerin Christine Lamprecht. Ich habe den Eindruck, hier ist unser Land in guten Händen.
Die neoliberale Idee jedenfalls, wonach der Markt alles regeln könne inklusive der Fragen von Krieg und Frieden, dürfen wir jetzt endgültig beerdigen. Selbst Friedrich Merz gibt ja jetzt im Bundestag zu Protokoll: Es gibt Wichtigeres als Wirtschaft. Und schon gar nicht, so muss man hinzufügen, kommt die Wirtschaft ohne politische Führung und soziale Korrekturen aus. Denn auch das zeigt die gegenwärtige Krise: Das Primat des Politischen bleibt auch im 21. Jahrhundert bestehen.
Das gilt auch für diejenigen Entwicklungen, die uns jetzt – mitten in der Krise – Anlass zur Hoffnung geben. Zum einen die unglaubliche Solidarität der Zivilgesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Sie zeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten ein Vorgehen wie das von Putin ächtet und sich solidarisch mit seinen Opfern zeigt. Die Aufnahmebereitschaft für Flüchtende ist enorm, und gerade die osteuropäischen Staaten leisten angesichts der größten Flüchtlingsbewegung seit 1945 Enormes. (Wobei ich mir wünschen würde, dass wir alle Flüchtlinge gleichermaßen freundlich willkommen heißen, denn alle Menschen sind gleichermaßen in ihrer Würde zu schützen, nicht nur die europäischen.)
Zum anderen haben wir Grund zur Hoffnung angesichts der ent- und geschlossenen politischen Reaktion, mit der die EU und fast alle Staaten der Vereinten Nationen Sanktionen auf den Weg gebracht haben. Putin hat auf die Uneinigkeit des Westens gewettet. Und er hat sich verrechnet. EU und NATO stehen einmütig wie nie zusammen. Auch dieses Momentum gilt es jetzt zu nutzen: Für eine starke Koalition im Dienste der Menschenrechte und für Vertragstreue in den internationalen Beziehungen. Für ein einiges Europa, das auch nach der nächsten Wahl in den USA als starker Akteur auf der Weltbühne auftreten kann.
Bis dahin bin ich in meinen Gedanken bei allen Ukrainerinnen und Ukrainern. Denen, die zurzeit ihr Land verteidigen und denen, die in den europäischen Nachbarstaaten Zuflucht suchen. Sie sind hier willkommen und werden unsere uneingeschränkte Hilfsbereitschaft erfahren. Gleichzeitig stimmt es mich traurig, wenn hierzulande Russinnen und Russen, oder Menschen, die dafür gehalten werden, grundlos ausgegrenzt werden. Die Handlungen eines machthungrigen Autokraten und seines Zirkels spiegeln nicht die russische Zivilgesellschaft und schon gar nicht die der russischen Community in Deutschland wider. Diese Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung mehr denn je. Die meisten Russinnen und Russen sind unsere Freundinnen und Freunde.
Sie streiten gemeinsam mit uns für eine friedliche Welt, in der Freiheit und Demokratie für alle Wirklichkeit werden. Sie fordern wir und wie 250.000 Kölnerinnen und Kölner am Rosenmontag: Dieser Krieg muss beendet werden – und zwar auf diplomatischem Wege. Tot und Zerstörung können und dürfen keine Antwort auf die Probleme dieser Welt sein!
[1] Siehe z.B. Claus Leggewie: https://www.spiegel.de/geschichte/russlands-ueberfall-auf-die-ukraine-wladimir-putin-ist-nicht-verrueckt-er-handelt-ideologisch-konsequent-a-51d52385-74da-4ed5-8c61-50eb0628ffde