Jochen Ott: „Gesinnungsaufsätze und Sonntagsreden“

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MdL Jochen Ott

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Liebe FDP, der Antrag ist eine fortgesetzte Unverschämtheit – Lyrik ohne Fundament, gerade in diesem Haus – und zwar aus folgendem Grund – wir haben in der letzten Periode hier schon darüber gesprochen:

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist seit über 150 Jahren eine demokratische Partei, deren Mitglieder unter Monarchisten, Nationalisten und Militaristen, unter Faschisten und Kommunisten in Gefängnissen gesessen haben.

Wenn Sie hier versuchen, uns eine Geschichtsstunde zu erteilen, ist das einfach eine Unverschämtheit. Wir als Sozialdemokraten sind stolz auf die Geschichte unserer Partei. Wir sind stolz darauf, dass unabhängig von Wahlergebnissen und unabhängig von geschichtlichen Begebenheiten die Sozialdemokraten gestanden haben. Deshalb haben Sie uns nichts zu der Frage zu sagen, wie man ein anständiger Demokrat ist.

Während wir, die Sozialdemokraten, unter anderem mit Otto Wels an der Spitze gegen das Ermächtigungsgesetz angetreten sind, haben andere sich anders verhalten.

Weil Lesen manchmal bildet, habe ich extra ein Geschichtsbuch aus der Schule mitgebracht, das im Klett Verlag erschienen ist. Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich aus diesem Geschichtsbuch für die Klasse 10 eine interessante Quelle zitieren. In seinem Plädoyer als Staatsanwalt hat Hans Ehard am 21. März 1924 im Hochverratsprozess gegen Adolf Hitler Folgendes gesagt:

Über seine Parteipolitik – die von Adolf Hitler – habe ich kein Urteil zu fällen. Ein ehrliches Streben aber, in einem unterdrückten und entwaffneten Volke den Glauben an die deutsche Sache wiederzuerwecken, bleibt sein Verdienst.
Er führt dann weiter aus, welch toller Gesinnung dieser Mann war. – Dieser Staatsanwalt war später – 1946 bis 1954 und 1960 bis 1962 – Ministerpräsident von Bayern.

Verehrte Damen und Herren, das ist ein Stück Wahrheit, auf die man stößt, wenn man sich die Geschichte unseres Landes anguckt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele, die dem Faschismus sehr positiv gegenübergestanden haben, gerade aus den sogenannten bürgerlichen Parteien, in dieser Republik Karriere gemacht.

Wenn wir uns dann die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik anschauen, stellen wir fest, dass über 500.000 Mitglieder in den Ostparteien von CDU und FDP waren, die als Blockflöten über viele Jahre mitgespielt und mit entschieden haben.

Interessanterweise hat nach den Jahren 1989/90 die FDP ihre Mitgliederzahl verdreifacht. Die CDU hat die Mitglieder übernommen. Das Parteivermögen haben sie ebenfalls einbezogen.

Das ist Ihre Art Aufarbeitung der Geschichte.

Verehrte Damen und Herren, es geht um die Frage, wie hier ehrlich mit Geschichte umgegangen wird. Es ist in den letzten 150 Jahren immer die Sozialdemokratie gewesen, die sich Diktaturen und undemokratischem Verhalten entgegengestellt hat.
Aber gleichzeitig weise ich darauf hin, dass auch in der Gegenwart insbesondere auch einige Parlamentarier aus diesem Raum in Kreistagen mit Rechtsradikalen abgestimmt haben.

Beispielsweise im Erftkreis bei der Frage der Optionskommune haben Sie sehr dankend auf die Stimmen von „pro NRW“ zurückgegriffen, um dort eine Entscheidung durchzusetzen. Das sind die Realitäten.

Dann eine solche Diskussion und eine solche Belehrung abzuhalten, halten wir schlichtweg für falsch.

Im Übrigen möchte ich deutlich machen, dass uns die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus zu nichts führt.

Faschismus ist als Idee ein Verbrechen. Der Kommunismus war eine Utopie ähnlich wie die Utopie der Urkatholiken, des Urchristentums. Es hat sich gezeigt, dass der Versuch, es umzusetzen, immer nur verbrecherisch gelungen ist.

Deshalb, verehrte Damen und Herren, ist eines ganz wichtig: Man muss sich kritisch mit diesen Diktaturen auseinandersetzen. Eine Gleichsetzung hilft uns nicht weiter.

Wenn wir dann – wie in Ihrem Antrag – mit einem Gesinnungsaufsatz oder in Sonntagsreden die mangelnde Auseinandersetzung der Jugendlichen damit beklagen, dann stellen wir doch auch einmal die Frage: Was haben Sie denn in Ihrer Bildungspolitik getan, um dafür zu sorgen, dass sich die Jugendlichen mehr mit politischer Bildung auseinandersetzen?

Sie haben G8 eingeführt, die Schulzeit verkürzt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass Deutsch, Englisch, Mathe und die erste Fremdsprache natürlich von besonderer Bedeutung sind. Sie haben aber nicht die Lehrpläne des Geschichtsunterrichts und des SoWi-Unterrichts angepasst, sondern im Gegenteil: Im Geschichtsunterricht musste sozusagen dasselbe Spektrum unterrichtet werden, wie es bei G9 auch der Fall gewesen ist, was kaum zu schaffen ist.

Sie haben dafür gesorgt, dass viele Kolleginnen und Kollegen an den Wettbewerben eben gar nicht mehr teilnehmen, weil sie so belastet sind, dass sie gar nicht die Muße haben, sich darüber hinaus damit zu beschäftigen.

Sie haben dafür gesorgt, dass an den Schulen ein Klima entstanden ist, dass vor Klassenfahrten nach Berlin gefragt wird: Was fällt dann für Unterricht aus? Welche klausurrelevanten Fächer sind denn betroffen? -Das Ergebnis ist, dass Fahrten zum Deutschen Bundestag zurückgegangen sind und zumindest bei denen, die sie organisieren, schwieriger durchzusetzen sind. Ähnliches gilt für Fahrten nach Düsseldorf. Viele Lehrer haben Sie mit Ihrer Schulpolitik frustiert. Wenn ich daran erinnern darf:

Die Redensart, dass Sozialwissenschaften und andere Fächer im gesellwissenschaftlichen Bereich Laberfächer sind, ist nun wirklich keine Erfindung der Sozialdemokratie, sondern von anderen in diesem Hause.
Verehrte Damen und Herren, last but not least haben Sie die demokratische Beteiligung der Schülerinnen und Schüler abgeschafft, anstatt mit den Jugendlichen vor Ort zu üben. Zum Beispiel haben Sie die Drittelparität abgeschafft und den Jugendlichen damit die aktive politische Beteiligung genommen.
Verehrte Damen und Herren, für die Sozialdemokraten steht fest:
Der Kampf gegen Extremisten und gegen Undemokraten wird auch in den nächsten 150 Jahren unserer Geschichte ein Hauptbestandteil unserer Arbeit sein. Wir stehen zu dieser demokratischen Tradition. Wir stehen dazu, Schule zu demokratisieren, politische Bildung zu stärken und dafür zu sorgen, dass unsere Jugendlichen wirklich ernst genommen werden. Aber dann lassen Sie in Ihrer Schulpolitik Taten folgen und schreiben nicht einfach nur Gesinnungsaufsätze und Sonntagsreden. – Danke. (Beifall von der SPD, von den GRÜNEN und von der LINKEN)