
I. Ausgangslage
Die finanzielle Lage von Städten, Gemeinden und Kreisen spitzt sich weiter zu. Belief sich das kommunale Finanzierungsdefizit bundesweit in 2009 noch auf 7,2 Milliarden Euro, übersteigt es mit 7,8 Milliarden Euro bereits nach dem 1. Halbjahr 2010 das hohe Niveau des Vorjahres. In Nordrhein-Westfalen lag das Finanzierungsdefizit in 2009 bei 1,9 Milliarden Euro. Während die Einnahmen stark schwanken, steigen die Ausgaben für soziale Leistungen so rasch wie kein anderer Ausgabenblock an. Allein im 1. Halbjahr 2010 sind sie bundesweit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,6 Milliarden Euro gestiegen. Ende 2010 werden wir bundesweit bei rund 42 Milliarden € angelangt sein – damit haben sich die Soziallasten für die Kommunen in den vergangenen 20 Jahren fast verdoppelt.
Im Einzelnen:
Die Kosten der Unterkunft und Heizung für Langzeitarbeitslose und ihre Familien werden in diesem Jahr voraussichtlich auf bundesweit 11 Milliarden Euro ansteigen. Gegenüber dem Jahr 2005 bedeutet dies Mehrausgaben von 2,3 Milliarden Euro. In Nordrhein-Westfalen betragen die Kosten der Unterkunft und Heizung in 2010 vor-aussichtlich über 3,5 Milliarden Euro, gegenüber 2005 ein Anstieg von 0,5 Milliarden Euro.
Die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe beliefen sich in 2008 auf bundesweit 24,6 Milliarden Euro. Allein zum Vorjahr sind die Ausgaben um 1,8 Milliarden Euro bzw. 7,9 Prozent angestiegen. Die Kosten der Hilfe zur Erziehung lagen bei knapp 6 Milliarden Euro – eine Steigerung von 36 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die höchsten Ausgaben fallen im Bereich der Kindertagesbetreuung mit rund 14,5 Milliarden Euro an. 1998 lagen die Ausgaben in diesem Bereich noch bei 10 Milliarden Euro. Auf dem Krippengipfel 2007 haben sich Bund, Ländern und Kommunen zusätzlich darauf verständigt, bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot nach Rechtsanspruch an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren zur machen. Dabei ging man von Ausbaukosten i.H.v. 12 Milliarden Euro aus, an denen sich Bund, Länder und Kommunen zu je einem Drittel beteiligen. Die Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen beliefen sich in 2008 auf 5,6 Milliarden Euro – eine Steigerung von über 37 Prozent in den vergangenen zehn Jahren.
Die Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen liegen bundesweit bei über 11 Milliarden Euro. Allein in den vergangenen 10 Jahren sind sie um rund 55 Prozent angestiegen. Auch die Zahl der Leistungsempfänger ist im gleichen Zeitraum kontinuierlich um 43 Prozent auf über 710.000 Menschen angestiegen. In Nordrhein-Westfalen werden die Kommunen im Jahr 2010 voraussichtlich mit über 3,1 Milliarden Euro belastet.
Die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung lagen 2008 bundesweit bei 3,67 Milliarden Euro, das ist im Vergleich zum Jahr 2004 eine Steigerung von 75 Prozent. Auch die Bezieherzahl ist im gleichen Zeitraum um 46 Prozent auf über 760.000 Menschen angestiegen. In Nordrhein-Westfalen lagen die Kosten in 2008 bei rund 1 Milliarde Euro.
Die Kosten der Hilfe zur Pflege lagen in 2008 bundesweit bei 2,75 Milliarden Euro. Die Empfängerzahl lag bei fast 400.000 Menschen. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist mit einem erheblichen dynamischen Anstieg zu rechnen. In Nordrhein-Westfalen lagen die Kosten in 2008 bei rund 700 Millionen Euro.
In Nordrhein-Westfalen werden die kommunalen Haushalte allein durch die Kosten der Unterkunft, der Eingliederungshilfe, der Grundsicherung sowie der Pflegehilfe im Jahr 2010 mit über 8,5 Milliarden Euro belastet. Jedes Jahr steigen diese Kosten zusätzlich um rund eine dreiviertel Milliarde Euro an.
Die Übertragung von Aufgaben und Lasten auf die kommunale Ebene ohne auskömmlichen finanziellen Ausgleich hat dazu geführt, dass sich immer mehr Kommunen gezwungen sehen, notwendige Investitionen zurückzustellen und freiwillige Leistungen auf ein Mindestmaß reduzieren. Viele Städte und Gemeinden fühlen sich in der Vergeblichkeitsfalle. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Bürgerinnen und Bürger.
Städte, Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände stehen zu ihrer sozialen Verantwortung. Sie sind aber außerstande, die explodierenden Soziallasten weiterhin zu schultern. Nur durch eine grundlegende Neuregelung der Lastenverteilung zwischen den staatlichen Ebenen kann der Abbau des Finanzierungsdefizits mit dem Ziel des Haushaltsausgleichs bei den Kommunen gelingen. Hier sind alle staatlichen Ebenen in der Pflicht.
Nur eine auskömmliche Beteiligung des Bundes an den Soziallasten bietet eine klare Perspektive zum Abbau des strukturellen Defizits mit dem Ziel des Haushaltsausgleichs bei den Kommunen. Dadurch schafft der Bund die Basis für ein nachhaltiges Hilfsprogramm des Landes. Vorrangiges Ziel des Landes ist dabei, die kommunale Familie beim Abbau der erdrückenden Last der Liquiditätskredite zu unterstützen. Zum 30. Juni 2010 beliefen sich die Liquiditätskredite allein in Nordrhein-Westfalen auf 19,5 Milliarden Euro. Legt man das durchschnittliche strukturelle Defizit der Kommunen in der Vergangenheit zu Grunde, wachsen diese Liquiditätskredite in den kommenden 10 Jahren auf über 43 Milliarden Euro an. In den kommenden Jahren muss daher ein deutlich merkbarer Abbau der Liquiditätskredite erfolgen.
In der beschriebenen Situation ist ein entschlossenes, zielgerichtetes und rasches Handeln aller politisch Verantwortlichen der zuvor genannten Ebenen notwendig. Das gemeinsame Ziel muss sein, für alle Kommunen in unserem Land eine verlässliche und aufgabengerechte Einnahmesituation zu schaffen, auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene auf eine verantwortungsgerechte Übernahme von sozialen Leistungen hinzuwirken und die Kommunen bei der Konsolidierung ihrer Haushalte zu unterstützen. Die Antragsteller verstehen sich dabei als Partner und Anwalt der Kommunen in unserem Land.
II. Vor diesem Hintergrund stellt der Landtag fest:
1.Die Kommunen in NRW benötigen bei den Sozialtransferzahlungen dringend Entlastungen. Dies gilt insbesondere für
die Kosten für Unterkunft und Heizung für Langzeitarbeitslose und ihre Familien.
die Ausgaben bei der Kinder- und Jugendhilfe
die Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen
die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
die Kosten der Hilfe zur Pflege
2.Die die angestrebte Konsolidierung gelingt nur, wenn die Beteiligung des Bundes und Hilfen des Landes, eigene Einsparungen der Kommunen und interkommunale Solidarität Hand in Hand gehen.
III. Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag:
1.Der Bund muss sich ab 2011 dynamisch zur Hälfte am Aufwand für die Soziallasten beteiligen.
2.Die Landesregierung wird gebeten, sich auf Bundesebene für eine nachhaltige Entlastung aller Kommunen einzusetzen. Es soll darauf hingewirkt werden, die Arbeiten in der Gemeindefinanzkommission zu beschleunigen und konsequent fortzusetzen, insbesondere mit dem Ziel einer nachhaltigen Entlastung bei den Auf- und Ausgaben zu erreichen. Die Landesregierung wird entsprechende Bundesratsinitiativen ergreifen und sich insbesondere für einen erfolgreichen Abschluss des auf Initiative von Nordrhein-Westfalen in Gang gesetzten Vermittlungsverfahrens (Kosten der Unterkunft) einzusetzen.
3.Das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) bleibt mit einer Verbundsatzquote von 23 Prozent als verlässliche Grundlage der kommunalen Finanzausstattung bestehen.
4.Zusätzlich erhalten die auf Liquiditätskredite besonders angewiesenen Kommunen ab 2011 eine deutlich merkbare Entlastung. Hierzu wird in enger Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden auf der Grundlage des in Auftrag gegebenen Gutachtens ein Gesetz erlassen.
5.Das Land trägt einen Anteil von jährlich mindestens 300 bis 400 Millionen Euro. Kommunen, die die Landeshilfe in Anspruch nehmen, erbringen einen eigenen Anteil.
6.Das Land begleitet und unterstützt die Kommunen bei der Erreichung der Konsolidierungsziele. Dabei vertrauen wir auf den Sachverstand der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort. Jede Kommune, die Mittel aus der Landeshilfe in Anspruch nimmt, vereinbart erforderliche Konsolidierungsziele für ihren kommunalen Haushalt mit der Kommunalaufsicht und formuliert ihren Konsolidierungsprozess eigenverantwortlich. Über die dazu unabweisbar notwendigen Änderungen der Gemeindeordnung ist schnell und konsequent zu entscheiden.